„Bis 2030 sind die Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt langlebig und recyclingfähig, bestehen größtenteils aus Recyclingfasern, enthalten keine gefährlichen Stoffe und werden unter Einhaltung der sozialen Rechte und im Sinne des Umweltschutzes hergestellt. Verbraucherinnen und Verbraucher können die hochwertigen und erschwinglichen Textilien länger nutzen, „Fast Fashion“ kommt aus der Mode und wirtschaftlich rentable Wiederverwendungs- und Reparaturdienste sind allgemein zugänglich. In einem wettbewerbsfähigen, widerstandsfähigen und innovativen Textilsektor übernehmen die Hersteller entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Verantwortung für ihre Produkte, und das bis hin zur Entsorgung. Das kreislauforientierte Textilökosystem floriert und verfügt über ausreichende Kapazitäten für innovatives Faser-zu-Faser-Recycling, wohingegen die Verbrennung und Deponierung von Textilien auf ein Minimum reduziert werden.“ 

Was wie eine Zukunftsutopie eines Nachhaltigkeits-Enthusiasten klingt, ist in Wahrheit die Zusammenfassung einer Mitteilung der Europäischen Kommission an das EU-Parlament zur Umsetzung des European Green Deals in der Textil- und Bekleidungsindustrie Europas. Das Papier wurde im März 2022 veröffentlicht und wird seither intensiv diskutiert. 

Da hat man sich in der Tat viel vorgenommen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich die EU-Kommission vorgenommen hat, schon bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Treibhausgasemissionen um 55 % zu senken. 

Was aber ist seither Konkretes passiert? Und wer soll die gewünschte Entwicklung vorantreiben? Wie sollen Ziele wie „Fast-Fashion kommt aus der Mode“ in die Realität umgesetzt werden? 

Tatsächlich beschreibt die Kommission in diesem Papier auch konkrete und sehr tiefgreifende Umsetzungsmaßnahmen. Eine davon finde ich besonders erwähnenswert:  

EU Flagge im Wind auf Mast

 

Der Weg in die Kreislaufwirtschaft 

Allen voran und mein absolutes Highlight in den Umsetzungsplänen der Europäischen Kommission ist die geplante „Unterbindung der Vernichtung unverkaufter und zurückgegebener Textilien“. Konkret schlägt man eine „Transparenzverpflichtung vor, laut der große Unternehmen die Anzahl ihrer entsorgten und vernichteten Produkte, einschließlich Textilien, und deren weitere Behandlung im Zusammenhang mit der Vorbereitung zur Wiederverwendung, zum Recycling, zur Verbrennung oder Deponierung offenlegen müssen“. Die Kommission geht sogar noch einen Schritt weiter und behält sich vor, „Verbote für die Vernichtung unverkaufter Produkte“ einzuführen.  

Wenn man jetzt noch den Mut hätte, eine zukünftige Rücknahmeverpflichtung für gebrauchte Bekleidung durch den „In Verkehr Bringer“ in den Raum zu stellen, dann hätten die vorgeschlagenen Maßnahmen noch mehr Umsetzungskraft. Das würde bedeuten, dass sich die gesamte Industrie ein völlig neues Geschäftsmodell entwickeln müsste. Der Weg hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft wäre vorbereitet. Innovationen, die derzeit mit nur mäßiger Geschwindigkeit vorangetrieben werden, müssten massiv beschleunigt werden.  

Wie könnte und sollte Kreislaufwirtschaft in der Bekleidungsbranche demnach aussehen? 

Der allerwichtigste Punkt: Kreislaufwirtschaft in der Textil- und Bekleidungsbranche bedeutet: Aus Textil- und Bekleidungsprodukten werden wieder Textil- und Bekleidungsprodukte. Wenn heute von Bekleidung aus recyceltem Polyester gesprochen wird, so ist in den allermeisten Fällen das Recycling von PET-Flaschen gemeint. Ein solches Recycling entspricht aber nicht der eigentlichen Idee der Kreislaufwirtschaft, auch wenn Recycling von PET-Flaschen, die man von verschmutzten Meeresstränden sammelt oder auch aus dem Meer fischt, natürlich eine gute Sache ist. PET-Flaschen sollten aber wieder zu PET-Flaschen werden, und Textilien eben zu Textilien. Die Rückführung von Alttextilien in ein funktionierendes System, das den weiteren Kreislauf bestimmt, wäre der erste Schritt. Dabei spielt noch keine Rolle, ob die Textilien nie verkauft wurden, verkauft wurden, aber trotzdem nie in Gebrauch waren, oder ob sie am Ende ihres natürlichen Produkt-Lebens-Zyklus stehen, dem Verwender also nicht mehr gefallen, nicht mehr passen oder eben gebraucht, abgenutzt und verschlissen sind. 

Welche neuen Technologien sind erforderlich? 

Die Sammlung von Alttextilien stellt die erste große Herausforderung dar. Wie Bekleidungshersteller und Händler mit nicht verkauften oder zurückgesendeten Produkten verfahren, darüber gibt es nur bedingt Informationen. Darum schlägt die EU-Kommission eine verpflichtende Offenlegung vor. Dem Konsumenten stehen für die Entsorgung seiner Alttextilien unterschiedliche Sammelsysteme zur Verfügung. Allerdings werden in Österreich derzeit doppelt so viele Textilien im Restmüll entsorgt, als in den Sammelsystemen abgegeben werden. 8 % des Restmülls sind textile Abfälle. Dadurch entstehen beim Sortieren des Restmülls technologische Herausforderungen, in automatisierten Sortieranlagen Textilien, als solche zu erkennen und mit darstellbarem finanziellem Aufwand auszusortieren. 

Selbst wenn dieser Technologieschritt gelungen wäre, müssten die jetzt gesammelten Textilien wieder sortiert werden. Es geht im ersten Schritt um das Aussortieren von verwendbarer, wieder verkaufbarer Bekleidung. Nur wenige Sortiersysteme führen eine solche Aussortierung im Inland durch. In der Regel wird auch das Aussortieren ins Ausland ausgelagert, um die Kosten zu Minimieren. Auch hier ist Technologieentwicklung gefragt. KI-Systeme könnten die Sortierung übernehmen, die müssen aber erst entwickelt werden. 

Sind die wieder verwendbaren Bekleidungsstücke aussortiert und der direkten Wiederverwendung zugeführt, stellt sich die nächste technologische Herausforderung. Die nicht mehr verwendbaren Bekleidungsteile müssen aufgrund Ihrer Faserzusammensetzung aussortiert werden. Baumwolle zu Baumwolle, Polyester zu Polyester und so weiter. Eine besondere Herausforderung stellen die vielen unterschiedlichen Mischgewebe dar, nicht nur, wenn zum Beispiel Baumwolle mit Kunstfaser vermischt ist, sondern auch bei unterschiedlichen Mischungen verschiedenen Kunstfasern. 

Wenn dieser Technologieschritt erfolgreich umgesetzt ist, stellt sich die nächste Herausforderung ein: In der Regel sind wiedergewonnene Fasern, sogenannte „Rezyklate“ qualitativ minderwertiger als Ursprungsmaterialien. Das gilt für Naturfasern in gleicher Weise wie für Kunstfasern. Derzeit begegnet die Industrie diesem Problem mit Materialien, deren „virgin“ Materialanteil höher ist als der Materialanteil durch Rezyklate. Aber auch hier gilt es noch viele zukünftige Entwicklungen abzuwarten. 

Welche Rolle könnte die Europäische Textil- und Bekleidungsindustrie tatsächlich spielen? 

Will man die Sache positiv sehen, so ergibt sich für die Textil- und Bekleidungsindustrie in Europa durch die bevorstehenden Maßnahmen und Bestimmungen der Europäischen Union eine große Chance. Die Chance könnte in einer Spitzenreiterrolle in der internationalen Technologieentwicklung sein. Die gute Nachricht ist: Es gibt in der Tat sehr viele Forschungs- und Entwicklungsprojekte, deren Ziel die erfolgreiche Bewältigung der zuvor erklärten Herausforderungen und vieler weiteren Problemstellungen ist. Viele dieser Projekte sind auch mit EU Geldern finanziert, oder zumindest unterstützt.  

Ob die Europäische Textil- und Bekleidungsindustrie diese Chance letztlich nützen kann, oder ob der Zug nicht schon längst abgefahren ist, wird die Zukunft zeigen müssen. Die Auslagerung von unzähligen Herstellungsbetrieben in den letzten Jahrzehnten und die Schließung vieler Ausbildungsstätten hat die Branche geschwächt und macht Technologieentwicklung nicht einfacher. Es gibt auch konkrete Beispiele, die logistisch schwierig zu bewerkstelligen sind: Wenn zum Beispiel Rezyklate in Form von Fasern in Europa hergestellt werden, aber für das Verspinnen zu neuen Garnen keine geeigneten Spinnereien mehr verfügbar sind, müssen die Rezyklate zur Weiterverarbeitung teilweise nach Indien oder in ein anderes fernes Land verbracht werden. 

Und wie soll es jetzt weitergehen? 

Der erste und wichtigste Schritt wäre, aus einer politischen Willensbekundung konkrete gesetzliche Rahmenbedingen zu machen. Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen sind dann für alle Stakeholder in der Industrie und für die Konsumenten in gleichem Maß verbindlich. Es ist leider kaum wahrscheinlich und schwer vorstellbar, dass die Industrie von sich heraus handelt. Der politische Druck wird erforderlich sein, um Veränderungen zum derzeitigen Vorgehen zu erwirken. Denn trotz aller Nachhaltigkeitskommunikation ist der Struktur unserer Industrie derzeit noch völlig unverändert und baut nach wie vor auf der gnadenlosen Ausbeutung von Menschen und Natur auf. 

Claus Bretschneider