Eigentlich fehlen mir die Worte. Ich werde trotzdem versuchen, meine Gedanken zu diesem aus meiner Sicht massiven Fehlverhalten österreichischer und deutscher Politiker Stellung zu beziehen.

Am Mittwoch dieser Woche war ich noch völlig fassungslos darüber, dass der kleinste Koalitionspartner der Deutschen Bundesregierung seine Zustimmung zum Lieferkettengesetz in der EU verweigert. Die FDP – eine „Schwesternpartei“ der NEOS in Österreich, hat mit dieser Ankündigung die Zustimmung Deutschlands in der EU verhindert. Einen Tag später berichten die österreichischen Medien, dass auch der verantwortliche österreichische Minister Kocher von der ÖVP nicht zustimmen will. So ist es also. Die für die Abstimmung erforderliche Mehrheit durch Staaten, die zumindest 65 % der EU - Bevölkerung repräsentieren, wurde durch das Ausscheren von Deutschland und Österreich gekippt. Schweden und die Tschechische Republik hatten schon zuvor angekündigt, gegen das Gesetz stimmen zu wollen. Am Freitag dieser Woche wurde dann die Abstimmung in der EU vertagt, wohl um das über Monate und Jahre vorbereitete Regelwerk doch zu einem späteren Zeitpunkt noch beschließen zu können.

Was hat man verhindert?

Was die Österreichische und die Deutsche Bundesregierung damit verhindert hat, wird viele große, global agierende Unternehmen in vielen unterschiedlichen Branchen freuen: Sie können ihre Profite weiterhin unbehelligt auf dem Rücken von sozial Schwachen erwirtschaften. Sie werden weiterhin nicht zur Verantwortung gezogen, wenn in ihrer Lieferkette Menschen unter völlig unwürdigen Lebensbedingungen an der Herstellung Ihrer Güter teilhaben. Auch dann nicht, wenn diese Menschen ZwangsarbeiterInnen sind. Und auch nicht, wenn Kinderarbeit nicht die Ausnahme, sondern weiterhin die Regel ist. Die global agierenden Konzerne können sich dann weiterhin ihrer Verantwortung entziehen, indem sie diese an ZwischenhändlerInnen oder andere AuftragnehmerInnen abwälzen. „Wir sind da nicht direkt involviert“, „wir können das nicht unmittelbar beeinflussen“. Ausreden wie diese werden weiterhin Anwendung finden, juristische Konsequenzen aber unmöglich sein.

Und dann sind da noch die Auswirkungen auf die Umwelt. Hier gilt das gleiche Prinzip. Was ich nicht weiß, das fällt auch nicht unter meine Verantwortung. Fehlt die gesetzliche Grundlage, werden auch hier weiterhin stark umweltschädliche Verhaltensweisen unverändert und vor allem weiterhin unbestraft fortgeführt werden.

Nur nichts an den derzeitigen Vorgehensweisen ändern – das muss wohl die Devise der beiden Regierungen sein.

Warum ist das genau in unserer Industrie so wichtig? 

Die internationale Textil- und Bekleidungsbranche samt ihrer Vorlieferanten ist in jeder Hinsicht einer der schmutzigsten Branchen weltweit. Der Umgang und die Bezahlung von Millionen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Herstellungsländern dieser Branche ist vielerorts menschenunwürdig. So ist die Bezahlung nach dem „living wage“ Prinzip, also der Auszahlung eines existenzsichernden Lohnes, in den wenigsten Ländern etabliert. Zwangsarbeit ist vor allem beim Anbau und der Ernte von Baumwolle ein gegenwärtiges Problem. Zwar ist Berichten der internationalen Arbeitsorganisation ILO zur Folge, das Problem der Zwangsarbeit in Usbekistan seit jetzt 2 Jahren besiegt, in China sieht die Situation allerdings gänzlich anders aus. 90 % der in China hergestellten Baumwolle kommt aus der Region Xinjiang. Das ist eine Region, die von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von „Nachhaltigkeitslabels“ nicht einmal besucht wird. Zahlreichen Berichten unterschiedlichster Organisationen und Medien zur Folge, basiert der dortige Baumwollanbau regelrecht auf dem System der Zwangsarbeit. Betroffen ist die dort unterdrückte, ethnische Minderheit der Uiguren.

So ist es auch kein Wunder, dass praktisch jede Berichterstattung im Zusammenhang mit dem geplanten Lieferkettengesetz von Bildern aus Textil- und Bekleidungsproduktionen dieser Welt hinterlegt war. Im Umkehrschluss: Ich habe keinen einzigen Bericht gesehen, bei dem andere Industrien im Zusammenhang mit dem Thema gezeigt wurden.

Warum braucht es staatliche Regularien?

Unternehmen unserer Industrie bedienen sich sehr oft eigener Labels und somit ihrer eigenen Beurteilung, um ihr Vorgehen in der Beschaffung in einem positiven Licht darzustellen. Dazu kommt eine mittlerweile völlig unübersichtliche Anzahl von privaten Labels, die das Tun der Industrie bewerten und beurteilen. Die Anzahl und die Aussagen dieser Labels sind zwischenzeitlich so unübersichtlich, dass die Beurteilung selbst für geschulte und erfahrene Experten schwierig ist. Einige dieser Labels sind stärker, andere schwächer, sie beziehen sich auf die unterschiedlichsten Fassetten der Beschaffungskette. Viele Labels sind selbst zu sehr ertragreichen Geschäftsmodellen angewachsen. Sie alle können aber eines nicht verhindern: Nämlich, dass bis heute dem Phänomen des Greenwashings Tür und Tor geöffnet wird. Jeder Konzern darf auf seine Art von sich behaupten, er würde alles richtig machen. Wenn aber alle, alles richtig machen: Warum gibt es dann immer noch so viel Leid in der Lieferkette, warum sind Abwassersysteme hinter Färbereien noch nicht weltweit etabliert, warum werden in vielen Ländern immer noch stark gesundheitsgefährdende Chemikalien eingesetzt, warum darf es dann immer noch sein, dass Menschen in der Lieferkette in Armut leben, Kinder arbeiten oder Zwangsarbeit an der Tagesordnung stehen?

Die Antwort ist aus meiner Sicht: Weil die Bekleidungsbranche nach wie vor eine der am geringsten regulierten Industrien der Welt ist. Und hier braucht es Regeln. 

Was können die Motive sein, ein solches Gesetz zu verhindern?

Es sind zwei Argumente, die ich in den letzten Tagen im Zusammenhang mit diesem Thema gehört und gelesen habe:

Das eine Argument bezieht sich auf das Thema Überregulierung. Ich kann das verstehen. Wen man neue Regeln einführt, sollte man auch aus meiner Sicht, andere nicht mehr in die Zeit passende oder ineffiziente Regeln weglassen. Mir würden da ganz viele Regularien im Zusammenhang mit Arbeitszeit, Entlohnung und Arbeitsleistung einfallen. Dass Unternehmensvertreter bei jedem neuen Gesetz reflexartig Widerstand leisten, ist nicht ganz unverständlich. Was aber, wenn neue Regeln entstehen, die denen, die sich richtig, aufrichtig, gut und fair verhalten, einen Marktvorteil bescheren könnten? Was wenn, alle die, einen Vorteil haben, deren Geschäftsmodelle eben nicht auf Ausbeutung und massiver Umweltverschmutzung basieren. Ich finde es falsch und fahrlässig, ein so wichtiges Gesetz grundsätzlich abzulehnen, nur weil es ohnehin schon so viele Gesetze gibt. Nur weil es schon sehr viele Regularien gibt, sollen wir Ausbeutung von Menschen und Natur weiter unbestraft lassen?

Das zweite Argument, das vor allem von Seiten der österreichischen Politik vorgetragen wurde: Die Verantwortung würde von den Großen auf die Kleinen, also an die vielen in unserem Land ohnehin schon sehr belasteten KMU’s abgewälzt werden. Allerdings habe ich dafür keine genaue Erklärung gelesen, in welcher Form genau diese Abwälzung der Verantwortung passieren sollte. In der Textil- und Bekleidungsbranche sehe ich dafür keine konkreten Ansätze. Es sind in der Regel die kleinen Unternehmen, in deren Beschaffungsstrategien das Wohl von Menschen und der Natur einen hohen Stellenwert einnimmt. Wen will die Politik, die in diesem Fall auch stark von der WKO unterstützt ist, wirklich schützen? Ich kann es nicht erkennen.

Am Ende bleibt die Vermutung, dass sich die durchgesetzt haben, die am liebsten alles beim Alten belassen wollen, die eigentlich keine Veränderung, und somit auch keine Verbesserung der Lebensumstände der vielen Menschen in den Lieferketten unterstützen wollen. Das Konzept der Ausbeutung hat jetzt über viele Jahrzehnte hinweg für viele sehr gut funktioniert. Das gilt es offensichtlich zu bewahren.

Mutig in die Zukunft gehen sieht gänzlich anders aus

Ich frage mich allerdings, wie wir die vielen zusätzlichen Herausforderungen in unserer Branche und in vielen anderen Branchen mutig bewerkstelligen wollen, wenn wir uns in der EU nicht einmal politisch einig gegen Ausbeutung in den Lieferketten bekennen wollen. Wie wollen wir die Herausforderungen der Klimakrise meistern, wie die SDG’s, die wir alle in der UNO beschlossen haben, wirklich erfolgreich umsetzen, wie eine erfolgreiche CO₂-Reduktion umsetzen?

Wäre es nicht einfach richtig, das Lieferkettengesetz so schnell wie möglich umzusetzen. Auch wenn es vielleicht noch Nachbesserungen benötigt. Schwachstellen könnten laufend evaluiert werden und den Anforderungen entsprechend angepasst werden.

Für’s Erste bleibt jedenfalls die Hoffnung, dass sich die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen noch eines Besseren besinnen und Mitte Februar doch noch zu einer Einigung kommen.

Claus Bretschneider