Die Nachhaltigkeitsszene in unserer Branche wächst jeden Tag. Das ist grundsätzlich gut! Es ist gut, dass viele Menschen und viele Unternehmer erkennen, dass sich die Bekleidungsindustrie weltweit in einer Sackgasse befindet. Und es ist gut, dass die Zahl derer, die darüber nachdenken, wie man es besser machen kann jeden Tag steigt. Es ist auch gut, dass eine steigende Zahl von Bloggern, Journalisten und Filmemachern die Missstände in unserer Industrie zum Thema machen.

Trotzdem: Ich muss es einmal loswerden: Ich kann die Verlogenheit nicht mehr ertragen. Es ekelt mich an, mit welchen fadenscheinigen Argumenten und welchen scheinheiligen Maßnahmen in unserer Branche versucht wird, nachhaltiges Image zu schaffen. Ziehen wir uns ein grünes Mäntelchen an, der dumme Konsument wird uns das schon glauben!

Es reicht aber nicht, wenn man „nur bei Tageslicht Fotoshootings macht“ um Strom für die Lampen zu sparen. Es ist auch nicht genug, wenn man ein Designstudio neben der Fertigungsstätte platziert, um Wege zu verkürzen. Es hilft auch nicht, wenn man sich die Umweltbelastung von Schiffsfracht schönrechnet. Es reicht auch nicht, wenn man sich auf einfache Zertifikate beruft, die man nie überprüfen kann oder wenn man sich über die Herkunft der Bekleidung in allen Vorstufen der Industrie einfach nicht informiert.

Die Bekleidungsindustrie ist eine dreckige Industrie – nach der Petrochemie ist diese Branche weltweit die Nr.2 der Umweltverschmutzer. Und da sprechen wir noch nicht von den verheerenden sozialen Missständen in der Branche. Der Aralsee ist schon trocken und die Flüsse in Indien, China und Südostasien sind verseucht. Da lebt kein Fisch mehr, kein einziger. Giftige Färbestoffe werden völlig ungefiltert in die Flüsse geleitet, Tonnen von Abfallaus den Fertigungshallen der Textilindustrie werden in dieselben Flüsse gekippt. Die Flüsse sind nur noch Kloaken. Quecksilber, Kadmium, Blei, Chromund viele andere Chemikalien führen dazu, dass in den betroffenen Ländern die Krebsrate dramatisch steigt. Das sind ernste Herausforderungen, das ist kein Spielunserer westlichen Modewelt! Wir versinken in dem Dreck, den wir selbst schaffen! Und auf den Webseiten der hippen Modemarken der westlichen Welt feiern sich die Marken, wie nachhaltig sie sind.
 
Es ist längst Zeit, dass wir diese Herausforderungen ernst nehmen und symbolische Handlungen, die in Wahrheit nur dem Ziel der Profitoptimierung dienlich sind, ein für alle Mal einstellen. Es ist Zeit zu handeln und den Unternehmungen, deren Versprechen nur Lippenbekenntnisse sind das Handwerk zu legen.
 
Es ist längst Zeit, dass wir echte Verantwortung übernehmen – die Schauspieler werden entlarvt werden.
 
Aber wie können wir das tun?
 
Fangen wir einmal damit an, darüber nachzudenken, wofür das Wort Nachhaltigkeit überhaupt steht. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. In einer Branche, die naturgemäß über Generationen hinweg wirtschaftet entstand das Wort. Nachhaltigkeit steht hier für Beständigkeit in der Pflanzung. Was ich heute pflanze, das werden meine Kinder oder Enkelkinder ernten.
 
Genauso ist das auch in der Bekleidungsbranche. Die Umwelt, die wir heute zerstören, die Chemikalien, die wir heute in die Flüsse leiten, die werden das Leben unserer Kinder und Enkelkinder beeinflussen. Die Kinder zahlen den Preis dafür, wenn wir heute billig einkaufen. Das ist ein Generationsvertrag. Über den müssen wir endlich nachdenken.
 
Hier meine Ratschläge an die Verantwortlichen in unserer Branche:
  •  Überlegt Euch den Beitrag, den Ihr leisten wollt, um die Industrie ein Stück weit sauberer zu machen. Was genau wollt Ihr erreichen? Wie wollt ihr das umsetzen?
  • Informiert euch! Lernt eure gesamte Lieferkette. Studiert sie, analysiert sie. Hinterfragt, woher die Vorprodukte kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden.
  • Schafft Nachhaltigkeitsabteilungen statt PR-Abteilungen. Stellt Nachhaltigkeitsexperten ein. Stellt Menschen ein, die ihr Leben in vielen Lebensbereichen schon nach nachhaltigen Kriterien gestalten. Ihr werdet von ihnen viel lernen. Und ihr werdet rasch feststellen: Diese Menschen sind für die Zukunft eures Unternehmens wichtiger als die Marketingabteilung, die bis jetzt den Nachhaltigkeitsbericht auf Hochglanz gebracht haben.
  • Stellt euch darauf ein, dass euch diese Experten mit großen Herausforderungen konfrontieren werden. Stellt euch darauf ein, dass ihr Prozesse und Vorgehensweisen, die ihr inden letzten Jahrzehnten eingesetzt habt und perfektioniert habt komplett umkehren müsst. Viele Vorgehensweisen werdet Ihr überdenken müssen und in Folge völlig neugestalten müssen.
  • Gestaltet in Eueren Designabteilungen Bekleidungsstücke, die für einen langen Lebenszyklus gedacht sind. Und denkt darüber nach, was mit diesen Bekleidungsteilen nach diesem hoffentlich langen Zeitraum des Gebrauches gemacht werden kann.Befasst euch mit den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft.
  • Schaut euch in anderen Industrien um, wie dort mit Umweltherausforderungen umgegangen wird. Sucht nach Lösungen. Und schaut euch die Unternehmungen an, die schon seit vielen Jahren ihr Handeln nachhaltig ausgerichtet haben. Was machen die anders? Welches Mindset verfolgen sie?
  • Seid ehrlich zu euch selbst und zu eueren Kunden. Wenn ihr heute noch nicht am Ziel seid, dann ist das noch nicht schlimm. Wichtig ist, dass ihr das Ziel „nachhaltig“ verfolgt und nicht aufgebt.
  • Vermeidet Abkürzungen –sie funktionieren ohnehin nicht. Der Weg zur nachhaltigen Gestaltung unserer Branche führt über viele Veränderungen die möglicherweise Zeit, Geld, Energie und viel Ausdauer in Anspruch nehmen. Befolgt diese Punkte, und das wenn möglich sofort. Die Industrie wird sich nur dann nachhaltig verbessern, wenn so viele Stakeholder wie möglich eine Veränderung anstreben. Und seitens der Umwelt ist es definitiv 5 vor 12.
    Claus Bretschneider