Das Konzept Messe lebt und sehr offensichtlich lebt auch die Textil- und Bekleidungsbranche. Die kürzlich abgehaltene Doppelmesse, Techtextil und Texprocess in Frankfurt, erwies sich als beeindruckendes Schaufenster für die Zukunft der Textil- und Bekleidungsindustrie. Mit 1700 Ausstellern aus 53 Ländern bot die Veranstaltung eine umfassende Plattform für Innovationen und Trends in der technischen Textilindustrie sowie der Bekleidungs- und textilverarbeitenden Industrie.
Es ist eine Doppelmesse: Die Techtextil ist als internationale Leitmesse für technische Textilien beworben. Von der Faser bis zum fertigen technischen Textil unterschiedlichster Funktion präsentiert sich hier die gesamte Branche. Die Texprocess als internationale Leitmesse für Bekleidungs- und textilverarbeitende Industrie. Sie bot ein breites Spektrum an Innovationen und Technologien. Von Spezialsoftware (selbstredend KI-unterstützt), Maschinen für Zuschnitt, Transport, Nähen, Schweißen, Bügeln, Stick, Nähautomatisation bis hin zu Verpackungsmaschinen. Die Messe bot einen umfassenden Einblick in die neuesten Entwicklungen der Bekleidungsbranche.
Wie entwickelt sich die Textilbranche
Es ist nicht ganz einfach, die Entwicklung einer Branche anhand einer Leitmesse dieser Dimension einzuschätzen, selbst wenn man - so wie ich - drei volle Messetage in den Hallen der Messe Frankfurt verbracht hat. Ankündigungen wie „beyond innovation“, „faszinierend“, „visionär und richtungsweisend“ sind schnell gemacht. Aber konnte die Messe diesen Schlagwörtern auch tatsächlich gerecht werden?
Aus meiner Sicht erfüllte die Messe weitgehend die Erwartungen im Bereich der Fasern und Stoffe. Bei der Entwicklung von Maschinen war die gezeigte Innovationskraft der Branche eher begrenzt. Es fehlten prominente Unternehmen wie Lectra und Gerber im Bereich Texprocess, aber auch an der Techtextil gab es große Abwesende: allen voran der amerikanische Membranspezialist Gore. Innovationen kamen hauptsächlich aus Europa, Japan und den USA. Chinesische Messestände hatten wenig Innovation zu bieten, die Hersteller aus China wollen mit dem Preis punkten. Mein diesbezügliches Messehighlight war der Stand eines chinesischen Herstellers, an dem Zuschneidegeräte auf technologischem Stand der 1950er Jahre ausgestellt waren.
Auffallend und auch etwas beklemmend war das Alter der BesucherInnen, und auch des Standpersonals auf den meisten Ständen: junge Menschen waren deutlich in der Unterzahl. Der Prototyp des Messebesuchers/ der Messebesucherin war 55 Jahre alt oder älter.
Ist die Zukunft der Fertigungsindustrie von Robotern bestimmt?
Wer an der Texprocess eine Vielzahl von Robotern erwartet hat, der wurde enttäuscht. Roboter haben sich rar gemacht. Bei der letzten Texprocess waren noch vermehrt Roboter zu sehen, die dreidimensionale Nahtverarbeitungen vorgeführt haben. Und es gab stolze Leistungsschauen der Universitäten, die Ihre Entwicklungen gezeigt haben. Diesmal waren Roboter nur bei einzelnen Ständen zu sehen. Die am häufigsten gezeigte Anwendung war eine zweidimensionale Zuführung eines Nahtstücks zu einer Standardmaschine. Bei den wenigen Ausstellern, die Innovationen der Robotik zeigten, herrschte reges Interesse. Das Interesse kam hauptsächlich aus dem Bereich Automotive. In diesem Sektor hat man seit Jahren Erfahrungen gemacht, wie durch den Einsatz von Robotern Effizienz gesteigert werden kann.
Die Automatisierungsbemühungen der Industrie scheinen nach wie vor auf eine weitere Effizienzsteigerung von Massenfertigung abzuzielen. Der Ansatz einer intelligenten digitalen Serienfertigung mit der Serienstückzahl 1 war auf keinem Messestand zu erkennen. Will man die Frage beantworten, wohin sich die Industrie entwickeln will, so scheint Flexibilität und Schnelligkeit nach wie vor kein großes Thema sein.
Optimismus oder Zurückhaltung
Die Standgrößen sind auf der Texprocess und Techtextil allgemein überschaubar, Stände mit mehrstöckigem Aufbau gab es nicht, wenn ein Stand über 200 Quadratmeter hatte, dann war das auf beiden Messen eher die Ausnahme. Das lässt aus meiner Sicht die Zurückhaltung der Industrie erkennen. Auch wenn der Andrang groß war, die Messeveranstalter sprechen von einem Besucherplus von +29 % und BesucherInnen aus 102 Ländern, wirkte die Großzahl der Ausstellerflächen eher bescheiden.
Während die Nähautomation weiter mit der Zielrichtung „Erhöhung der Fertigungseffizienz bei hohen Stückzahlen“ voranschreitet, werden die Automaten mit höherer Intelligenz bestückt. Automatisation wird also nicht nur schneller, sondern auch intelligenter. So zeigte Pfaff einen Nähautomaten, der mit eingebauten Kameras und KI-unterstützter Software die Qualitätskontrolle und Anpassung der Stichlänge gleich online selbst erledigt. Ebenfalls ein Highlight, dass sehr offensichtlich von Fertigungsherausforderungen aus dem Automobilbau motiviert ist. In der Bekleidungskonfektion werden derlei High-Tech Automaten wohl eher wenig Einsatz finden.
Ein auffallend großer Bereich war dem Thema Stick und Digitaldruck gewidmet. Kunststick und 3D-Druck waren die Highlights, die Maschinen werden nicht nur schneller, sondern auch in den Gestaltungsmöglichkeiten vielfältiger.
Aus österreichischer Sicht war die Beteiligung von Lenzing, Getzner, G-Loft und Zimmer auffallend. Zudem hat Andritz seinen Fokus auf die Themen „Textiles Recycling“ und „Produktionstechnologien für den Bereich nonwoven“ gezeigt.
Recycling und Kreislaufwirtschaft in aller Munde
Recycling war indes ein Thema auf auffallend vielen Ständen. Offensichtlich ist dabei, dass sich die diesbezüglichen Technologien für Baumwolle und andere Naturfasern durchaus gut entwickelt. Bei Kunstfasern sind die erforderlichen Technologien zwar bekannt und im Laborformat auch vorhanden, es scheitert aber noch an der industriellen Skalierung – zumindest in Europa. „Post Industrial waste“ wird allgemein schon recycelt, schon aus Kostengründen. Jetzt wird dieses Recycling auch vermehrt für Marketingzwecke genutzt. Wirklich revolutionäre Ansätze, deren industrielle Skalierung schon erfolgt ist, wird vermutlich noch ein paar Jahre auf sich warten lassen. Vielleicht dürfen wir bei der nächsten Techtextil in 2 Jahren darauf hoffen. Realistisch gesehen, wird es wohl noch etwas länger dauern.
Start-ups und Innovationen präsentieren sich vorwiegend in diesem Thema Kreislaufwirtschaft. Erwähnenswert sind RE&UP, als Teil der türkischen Sanko Tekstil Group, oder recyc-elit aus Frankreich. Im Bereich innovativer Fasern zeigt das Start-up Noosafiber aus Belgien, wie sie aus Milchsäure Fasern machen, die nicht nur endlos recyclebar, sondern auch biologisch abbaubar sind. Erwähnenswert ist auch das Start-up SA-Dynamics, man stellt recyclebare Dämmstoffe aus biobasierten Aerogelfasern vor. Die Techtextil wartete auch mit einer Sonderschau für Textilien aus natürlichen Rohstoffen auf, Hanf war das zentrale Thema. Die kanadische Logistik Unicorp Group zeigte mit Ihrem Produkt Vegeto Textiles eine in Kanada hergestellte Thermoisolation aus Hanf.
Insgesamt ist das Thema Nachhaltigkeit und Circularity aber bei weitem nicht so massiv aufgefallen wie erwartet. Es war eher Zurückhaltung zu erkennen. Auf vielen Ständen war Nachhaltigkeit kein Thema, in der Maschinenindustrie ohnehin nicht. Bei den MaterialherstellerInnen spielte vielleicht auch etwas Vorsicht mit, um nicht Entwicklungen zu versprechen, die sich langfristig nicht realisieren lassen.
Dabei war die Stimmung gut - an den Messeständen gab es viele zufriedene Gesichter, gefühlt war die Stimmung bei den Materialherstellern besser als bei den Maschinenherstellern.
Ein starkes Zeichen allemal
Alles in allem war es schön, in der Früh am Messeeingang Schlange zu stehen, viele Gleichgesinnte zu treffen, in den knallvollen Restaurants der Stadt am Abend textilbegeisterte Menschen aus vielen Ländern dieser Erde zu sehen und somit doch das Gefühl zu haben, die Industrie lebt und sie geht auch durchaus in eine erfolgversprechende Zukunft.
Ich freue mich jedenfalls schon jetzt auf die nächste Techtextil/ Texprocess in Frankfurt in zwei Jahren. Es macht aber eventuell auch Sinn, die ITMA Asia im Herbst 2024 in Shanghai oder 2025 in Singapore zu besuchen. Denn vielleicht ist es ja doch so, dass die Textil- und Bekleidungsindustrie längst Europa verlassen hat und echte Innovationen zukünftig in anderen Erdteilen stattfindet.